Hochsensibilität – Oder warum vieles zu laut, zu ungewohnt oder zu viel ist

«Im Hirn des Hochsensiblen wird sehr viel interpretiert und im Herzen sehr viel gefühlt.» 

(Susan Marletta Hart)

 

 

Hochsensibilität ist ein Phänomen, dass die Gesellschaft momentan vor viele Fragen stellt. Noch während meiner Studienjahre war der Begriff der Hochsensibilität praktisch nicht bekannt, da er nicht zu den psychischen Störungen gehört und somit nicht im IDC-10 aufgeführt wird. Somit kann auch keine Diagnose im eigentlichen Sinne gestellt werden. In den letzten Jahren konnte man beobachten, dass die Hochsensibilität immer weniger suspekt wahrgenommen wurde, da es immer mehr wissenschaftlich fundierte Studien zu diesem Thema gibt. Der Begriff der «Highly sensitive person» (kurz HSP) wurde von Dr. Elaine N. Aron, Psychologin und Pionierin auf dem Gebiet der Hochsensibilität geprägt.

Man darf die Hochsensibilität als eine charakteristische Disposition, eine angeborene Temperamentsbesonderheit, ja auch als eine aussergewöhnliche Stärke bezeichnen. Heute weiss man, dass ca. 15-20% der Menschen als hochsensibel gelten. In einer Schulklasse würde diese etwas ein Viertel aller Kinder ausmachen. Und doch werden leider immer wieder «Falschdiagnosen» wie ADHS gestellt, da die Hochsensibilität sich in ihren Ausprägungen oft ähnlich bei Menschen mit autistischen Zügen, ADHS oder Trauma-Erfahrungen zeigen können. Heute möchte ich mich darum gerne diesem wichtigen Thema widmen, das mir in meiner Praxis und im Schulalltag als Lehrerin immer öfters begegnet.

 

 

Hochsensibel vs. hochsensitiv

 

In der Literatur findet man häufig die Unterscheidung zwischen «Hochsensibilität» und «Hochsensitivität.» Die Hochsensibilität umfasst hier die feine Reizempfindung oder Überempfindlichkeit von einem oder mehrerer Sinne. Von «Hochsensitivität» wird gesprochen, wenn es über eine verfeinerte Wahrnehmung über die fünf Sinne hinaus geht. Man sich also z.B. unwahrscheinlich gut in andere Menschen hineindenken – oder fühlen kann. Als Gesamtbegriff werde ich in meinem Blog-Beitrag vor allem den Begriff der «Hochsensibilität» verwenden.

 

 

Anders denken, anders fühlen, anders kommunizieren

 

Auch im Tierreich finden sich ganz unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Egal ob bei den Elefanten, Katzen oder sogar bei Fruchtfliegen, bei den meisten Tierarten gibt es zwei Persönlichkeitstypen. Es gibt die Forschen, die schnell vorpreschen und sich ihre Beute packen, ohne ihrer Umgebung grosse Bedeutung zu schenken. Daneben gibt es die Vorsichtigen, die erste einmal am Rande des Geschehens stehen bleiben und die Umgebung kritisch prüfen.

 

Hochsensiblen Menschen gelingt es, ihre Umgebung deutlicher und intensiver wahrzunehmen und auch viel darüber nachzudenken. Man sagt, dass hochsensible Menschen oft mitfühlender, intuitiver, kreativer und aufmerksamer sind. Sie nehmen bereits die kleinsten Details und Veränderungen in ihrer Umgebung wahr und bemerken, wenn es anderen schlecht geht. Ihr Gehirn verarbeitet Informationen viel gründlicher. Darum kann dazu führen, dass der Arbeitsspeicher überlastet ist. Oft fühlen sich hochsensible Menschen deswegen von äusseren Reizen und Emotionen überfordert und brauchen viele Ruhepausen, um wieder Energie tanken zu können.

 

Es gibt unterschiedliche Arten der Ausprägung von Hochsensibilität. 70% der Hochsensiblen sind introvertiert, 30% hingegen extrovertiert. Die introvertierten Hochsensiblen machen viel mit sich selber aus, stehen nicht gerne im Mittelpunkt, sind oft ängstlicher, unsicherer oder ruhiger. Die extrovertierten Hochsensiblen hingegen stehen gerne im Mittelpunkt, sind mitteilungsbedürftig und verarbeiten Erlebnisse oft aktiv durch körperliche Tätigkeiten. Bei Kindern wird der extrovertierte Typ daher oft in die Schublade «ADHS» abgelegt, da sich sehr viele Ausprägungen ähneln.

 

 

Das hochsensible Kind

 

Hochsensible Kinder haben extrem feine Antennen für ihre Umgebung und erleben daher schnell eine Reiz-Überflutung.

Im Folgenden möchte ich einige Merkmale der Hochsensibilität aufzeigen. Dabei unterscheide ich zwischen den Ausprägungen an «guten Tagen» und «schwierigen Tagen» im Leben eines hochsensiblen Kindes.

 

 

An schwierigen Tagen …

 

·       Lichtempfindlich, geräuschempfindlich, temperaturempfindlich, geschmacksempfindlich

·       Weinen schneller

·       Leichtes Erschrecken

·       Mögen keine Veränderungen und neue Situationen

·       Übergänge sind schwierig (z.B. vom Kindergarten in die erste Klasse)

·       Machen viel mit sich aus

·       Benennen ihre Bedürfnisse nicht

·       Besonderes Schmerzempfinden

·       Werden oft fälschlicherweise als schüchtern bezeichnet

·       Selbstzweifelnd

·       Empfindlich gegenüber Stress und Hektik

 

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An guten Tagen ….

 

·       Gute Beobachter*innen

·       Feinfühlig, intensives Empfinden, fühlen mit anderen Lebewesen mit

·       Intuitive Wahrnehmung

·       Hohes Bedürfnis nach Harmonie

·       Haben eine starke Körpereigenwahrnehmung

·       Oft künstlerisches Interesse oder Naturverbundenheit

·       Hoher Gerechtigkeitssinn

·       Mögen Routine und Gewohntes

·       Nehmen viele Erscheinungen und Erlebnisse in sich auf

·       Ziehen Gruppensport vor, im Vergleich zu Einzelkampfsportarten

·       Intensives Musikempfinden und Musikerleben

·       Zeigen eine geistige Reife

·       Merken, dass sie anders sind als ihre Freund*innen

·       Starkes Bilderdenken

·       Machen viel mit sich selber aus und sind selbständig

·       Haben breites Interesse und suchen stets neue Inspirationen



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Die oben genannten Merkmale lassen sich leicht auch auf das Empfinden eines hochsensiblen Erwachsenen transferieren.

 

Wenn Eltern ihr hochsensibles Kind dabei unterstützen, Ängste zu überwinden und das eigene Reizniveau selbst zu regulieren, können Kinder aus ihrer Hochsensibilität besondere Stärken entwickeln.

 


Hochsensibel – Was nun?

 

Oft finden hochsensible Menschen den Weg zu mir in die Praxis, weil sie spüren, dass sie irgendwie anders ticken als viele Menschen in ihrem Umfeld. Ich empfinde Hochsensibilität als eine wundervolle Stärke, mit der man aber lernen muss umzugehen. Oft wenden Menschen mit einer Hochsensibilität bereits intuitiv gute Bewältigungsstrategien an, um sich vor einem Übermass an äusseren Einflüssen und Emotionen zu schützen.

 

Im Internet finden sich viele brauchbare HSP-Tests, welche dir helfen, besser einordnen zu können, ob auch du zu den hochsensiblen Menschen gehörst. Auch in meiner Praxis arbeite ich mit den Tests von Elaine N. Aron für Erwachsene und speziell auch für Kinder.

 

Mit diesem Beitrag wollte ich dir einen kleinen Einblick in die Welt der Hochsensibilität geben. Natürlich ist dieses Gebiet riesengross und es gibt einiges darüber zu entdecken und erfahren. Wenn du dich und deine hochsensible Seite gerne etwas besser verstehen möchtest, nach Abgrenzungsstrategien suchst, deine Ressourcen trainieren, positive Glaubenssätze oder dein Selbstbewusstsein stärken möchtest, unterstütze ich dich gerne dabei und begleite dich auf deinem Weg mit dieser schönen Stärke.